Stellungnahme der DGSF zum Thema Familienaufstellungen

In den letzten Jahren hat das "Familienaufstellen" (nach Bert Hellinger) nicht nur in Fachkreisen eine sehr kontroverse Diskussion ausgelöst. Da diese Methode sowohl von ihren VertreterInnen als auch von KritikerInnen immer wieder als "systemisch" gekennzeichnet wird und wegen zahlreicher direkter Anfragen formuliert der Vorstand der DGSF im Folgenden seine Position zu diesem Themenkomplex.

Ziel ist es, einerseits die positiven Aspekte der Familienaufstellungen anzuerkennen, die im Rahmen Systemischer Therapie und Beratung hilfreich sein können, andererseits aber zu einem kritisch-reflektierten Umgang mit dieser Methode anzuregen, auf die Gefahr unerwünschter Nebenwirkungen hinzuweisen und Unvereinbarkeiten mit systemischer Theorie und Praxis aufzuzeigen.

Theorie und Methodik der Familienaufstellung gehen zurück auf die Mehrgenerationen-Perspektive der Familientherapie, auf die Methoden der Familienrekonstruktionsarbeit und vor allem das Stellen von Familienskulpturen, die wichtiger Bestandteil der Systemischen Therapie sind. Innerhalb Systemischer Therapie und Beratung wird das Individuum u. a. als familiengeprägtes Wesen verstanden, dessen Entwicklungs- und Handlungsmöglichkeiten durch die Geschichte der vorhergehenden Generationen, durch überkommene Regeln, Muster und Loyalitäten stark mitbestimmt werden. Techniken wie die Genogrammarbeit oder das Stellen von Familienskulpturen sollen dem Einzelnen neue Bewertungsmöglichkeiten der Familiengeschichte und damit zusätzliche eigene Verhaltensmöglichkeiten eröffnen. Dazu bedarf es eines Therapeuten, der weiß, dass er nicht die "wahre" Sicht kennen kann, der den KlientInnen und ihrer Sichtweise mit empathischer Sensibilität und Respekt begegnet, ihre Autonomie achtet sowie Vielfalt und eine Erweiterung von Handlungsoptionen auf Seiten der KlientInnen fördert. Diese Sichtweise und die genannten Methoden sind integraler Bestandteil der Systemischen Therapie und Beratung. TherapeutInnen, die Familienaufstellungen unter den genannten Prämissen in ihrer Arbeit nutzen, finden insoweit Unterstützung durch den Vorstand der DGSF.

Die Praxis der Familienaufstellungen nach Bert Hellinger gibt dem Vorstan jedoch Anlass zu deutlicher Kritik und zu Befürchtungen bezüglich einer möglichen Gefährdung von KlientInnen.

Da ist zunächst einmal der Protagonist der Familienaufstellungen Bert Hellinger zu nennen. Seit mehr als einem Jahrzehnt ist es u.a. sein Markenzeichen, dass er in Großveranstaltungen publikumswirksame Familienaufstellungen durchführt. Schon hier ergeben sich Fragen nach der Rollendefinition des Therapeuten und seiner Beziehungsdefinition innerhalb der Trias Publikum-Klient-Therapeut. Zudem haben Hellingers Auftritte viel zu dem Bild beigetragen, dass Familienaufstellungen als "Ultra-Kurz-Event" große Veränderungen herbeiführen können. In den Familienaufstellungen postuliert er die Existenz vorgegebener Grundordnungen und Hierarchien und vertritt seine Konzepte, Interpretationen und Interventionen immer wieder mit einer Absolutheit, die die Autonomie der KlientInnen enorm einschränkt. Gleichzeitig entzieht er sich einer ernsthaften und kritischen Diskussion seiner Vorgehensweisen und scheint sich lieber von einer "gläubigen" Anhängerschar bewundern zu lassen. Dies führt zu einer Aura des "Nicht-Kritisierbaren", die mit dem Selbstverständnis der Systemischen Therapie unvereinbar ist. Der Vorstand der DGSF wünscht sich deshalb von systemischen TherapeutInnen und BeraterInnen einen kritischen, respektlosen Umgang mit Vorgehens- und Verhaltensweisen von Bert Hellinger, und erhofft von den renommierten Praktikern der Familienaufstellungen die Fähigkeit, sich von Bert Hellinger zu emanzipieren.

Auch die reale Praxis der Familienaufstellungen ist zu einem nicht geringen Teil als kritisch, ethisch nicht vertretbar und gefährlich für die Betroffenen zu beurteilen. Letzteres gilt z.B. für die immer wieder unter der Überschrift "Familienaufstellungen" angekündigten Gruppenveranstaltungen, in denen ohne ausreichende therapeutische Rahmung, vor allem ohne die persönliche Beziehung zu dem Therapeuten, den Klienten suggeriert wird, dass selbst gravierende psychische Problemsituationen durch eine einzige Familienaufstellung grundlegend verändert werden. Erwartungsvolle Klienten werden hier in Großgruppen zum Teil schutzlos dem in seinen Auswirkungen nicht zu kalkulierenden Handeln eines oftmals unzureichend ausgebildeten Therapeuten ausgeliefert. Gleiches gilt für die Verallgemeinerungen und Vereinfachungen von aus dem Kontext einer bestimmten Familienaufstellung herausgerissenen Aussagen, die "kleine Hellingers" zu bewertenden und normativen Leit- und Lebenssätzen umformulieren. Führende Repräsentanten der Familienaufstellungen, allen voran Bert Hellinger, müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, dass die Art und Weise, wie sie die Methode "Familienaufstellung" zur Zeit darstellen und anbieten, zu solchen Auswüchsen einlädt – und dass sie nicht ausreichend etwas dagegen tun.

Sollen die Möglichkeiten der Familienaufstellung innerhalb der Systemischen Therapie und Beratung genutzt werden, gelten nach Ansicht des Vorstandes folgende Bedingungen:

Familienaufstellungen können als eine Methode innerhalb der Systemischen Therapie eingesetzt werden, wenn systemische Grundprinzipien gewahrt bleiben, beispielsweise

  • die Neutralität und Allparteilichkeit gegenüber Personen und Ideen,
  • das therapeutische Postulat, die Wahlmöglichkeit der KlientInnen zu erhöhen,
  • und das therapeutische Selbstverständnis, dass die Klientin oder der Klient jeweils Fachfrau oder Fachmann für die eigenen Ziele ist und die TherapeutIn sich darauf beschränkt, gute Bedingungen für neue Lösungsmöglichkeiten zu schaffen,
  • wenn zudem Aussagen von "Stellvertretern" und Therapeuten als Hypothesen gewertet werden und den KlientInnen jederzeit die Möglichkeit belassen wird, sie als momentan nicht nützlich zu verwerfen,
  • und wenn Familienaufstellungen in einen längeren Prozess von Systemischer Therapie und Beratung eingebettet sind und nur einen Bestandteil eines therapeutischen/beraterischen Prozesses darstellen.
  • Familienaufstellungen im systemischen Kontext dürfen nur von TherapeutInnen/BeraterInnen durchgeführt werden, die eine fundierte Fortbildung in Systemischer Therapie / Beratung absolviert haben und die fundierte beraterische und therapeutische Praxiserfahrung mitbringen.
  • Familienaufstellungen in Großgruppen mit dem Ziel des Publikumseffekts werden als unethisch abgelehnt.
  • Nicht Bert Hellinger als normensetzender Guru, sondern ein breiter wissenschaftlicher Diskurs von Fachleuten innerhalb der Systemischen Therapie und Beratung definiert die Methodik der Familienaufstellung und entwickelt sie so weiter, dass keine Diskrepanzen zu den Grundannahmen des systemischen Ansatzes auftreten.
  • Führende Repräsentanten der Familienaufstellung übernehmen nicht nur die Verantwortung für ihr eigenes methodisches Vorgehen, sondern auch insofern, als sie auf unethisches und unverantwortliches Verhalten von FamilienaufstellerInnen hinweisen und sich für Qualitätssicherung durch fundierte Fortbildung und Praxisevaluation einsetzen.

Vorstand der DGSF

Köln, Februar 2003

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